Bettina Hearn ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin an der Klinik für Psychiatrie, Psycho­therapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter am Universitätsklinikum Freiburg. In Kooperation mit wirmachenwelle e.V. arbeitet sie seit Januar 2022 an einer Pilotstudie zur Durchführbarkeit und Effektivität einer neuen Behandlungsmöglichkeit für depressive Jugendliche. Hierbei wird vor allem die Wirkung von Surftherapie in Kombination mit Bewegungs- und Verhaltenstherapie auf Jugendliche mit Depressionen untersucht. Das zweijährige Forschungsprojekt ist das erste dieser Art in Deutschland. Die Wirkung von Surftherapie wird wissenschaftlich untersucht. Hierfür fand im ersten Projektjahr 2022 eine dreimonatige Gruppentherapie in Form einer Vorbereitungsphase mit einem abschließenden Surftherapiecamp statt. In diesem Interview gibt Bettina uns Einblicke in ihre Arbeit.

Was ist denn das spezifische Forschungsziel des Projekts?

Zum einen geht es darum zu schauen, ob das neue Therapiekonzept mit der Besonderheit, dass wir eben nicht direkt am Meer sind, überhaupt durchführbar ist. Ob das Konzept aufgeht und ob die einzelnen Sitzungen stimmig sind. Zum anderen, inwiefern die Intervention effektiv ist, um depressive Symptome zu reduzieren. Es geht also ganz gezielt darum die Depression zu behandeln und die Symptomatik der Jugendlichen zu verbessern.

“Es geht unter anderem darum zu schauen, inwiefern die Intervention effektiv ist, um depressive Symptome zu reduzieren”
Wie ist das Forschungsprojekt aufgebaut? Also welche Phasen gibt es, wie sind die Rahmenbedingungen und wie wird gearbeitet?

Zunächst geht es darum, wenn die Familien und Jugendlichen sich interessiert gezeigt haben, harte Ausschlusskriterien abzuklären. Also zum Beispiel, ob sie schwimmen können.

Im Anschluss führen wir in einem ersten Diagnostiktermin (der sogenannten Prä- Messung) ein umfangreiches klinisches Interview durch. Hier erfassen wir neben der depressiven Symptomatik alle weiteren Störungen oder Erkrankungen. Außerdem auch Emotions- und Regulationsstrategien, den Selbstwert, das Selbstwertgefühl und die Lebensqualität. Danach gibt es ein weiteres klinisches Interview, um den Schweregrad der Depression einschätzen zu können.

Dann geht die dreimonatige Gruppentherapie los. Direkt danach gibt es den zweiten Diagnostiktermin (Post-Messung). Der dritte und letzte Diagnostiktermin (Follow-Up-Messung) findet drei Monate nach Ende der Gruppentherapie gemeinsam mit den Familien statt. Hier finden wir heraus, ob die Jugendlichen und Eltern nach Ende der Gruppentherapie eine geringere depressive Symptomatik angeben. Außerdem untersuchen wir, ob der positive Effekt länger andauert.

Könntest du nochmal darauf eingehen, wie die Einheiten in der Vorbereitungszeit und im Surftherapiecamp konkret aussahen?

Die Vorbereitungsphase dauerte elf Wochen. Die ersten drei Termine haben bei uns in der Klinik stattgefunden. Ziel war es erstmal, dass die Jugendlichen sich untereinander und auch uns Therapeutinnen kennenlernen und das ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden konnte. Außerdem ging es direkt los mit ersten Bewegungseinheiten, aber wirklich in einem sehr sanften Rahmen, zum Beispiel mit Aufwärmeinheiten, die dann über den kompletten Prozess ähnlich geblieben sind.

Auf der verhaltenstherapeutischen Seite ging es in den ersten Einheiten darum, dass wir den Jugendlichen Wissen vermitteln: Was ist überhaupt eine Depression, wie viele sind davon betroffen, woran erkenne ich eine Depression? Die Jugendlichen hatten die Möglichkeit, sich untereinander auszutauschen, welche Symptome sie von sich kennen, welche vielleicht aber auch nicht. Außerdem haben wir begonnen, erste Strategien zu entwickeln, um die Depression zu behandeln.

Dann sind wir für sechs Einheiten mit den Jugendlichen ins Hallenbad gegangen. Wir hatten auch hier eine feste Struktur, wir sind immer erst mit einem sogenannten Blitzlicht gestartet, um zu schauen, wie geht es den Jugendlichen jetzt gerade? Was ist aktuell so in der Woche passiert? Dann gab es immer einen therapeutischen Input. Wir haben zum Beispiel angefangen, zu den Themen Emotionsregulation und Selbstwert zu arbeiten. Im Wasser ging es um Kennenlern- und Vertrauensübungen, sowie Techniktraining.

Dann waren wir noch für zwei Einheiten mit den Jugendlichen am See direkt bei Freiburg und sind Stand Up Paddeln gegangen. Hier ging es darum Bewegungselemente in der Natur zu nutzen und die Jugendlichen an eine Sportart heranzuführen, die Ähnlichkeiten mit dem Wellenreiten hat. Das war das Ende der Vorbereitungsphase und dann sind wir für eine Woche nach Sylt gefahren.

Die Woche auf Sylt war eine intensive Zeit, in der jeden Tag eine Surftherapieeinheit mit den Jugendlichen stattfand. Wenn sie danach noch Lust auf mehr Bewegung hatten, konnten sie zum Beispiel Volleyball, Yoga oder einen Spaziergang am Strand machen. Wenn sie sich kreativ austoben wollten, gab es einen Basteltisch. Sie durften sich in solchen Zeitfenstern aber auch mal zurückziehen.

Zusätzlich gab es dann noch zwei verhaltenstherapeutische Gruppentherapieeinheiten, wo wir zu spezifischen Themen gearbeitet haben. Es gab auch immer das Angebot für Einzelgespräche, was tatsächlich von vielen Jugendlichen genutzt wurde.

“Mein Fazit war insgesamt total positiv“

Mein Fazit ist insgesamt total positiv. Ich war davor schon von der Intervention überzeugt, aber meine Erwartung wurde nochmal übertroffen! Wir konnten wirklich eine deutliche Veränderung sehen und haben auch dementsprechende Rückmeldungen von den Jugendlichen und deren Eltern erhalten. Es war sehr beeindruckend zu sehen, wie viel sie bei den vielen Herausforderungen, die sich ihnen stellen, dazugelernt haben. Bemerkenswert war auch, wie mutig die Jugendlichen sich auf die Gruppe und die Bewegungselemente eingelassen haben. Ich habe eine Verbesserung der depressiven Symptomatik gesehen, insbesondere durch die intensive Woche auf Sylt.

Es geht auch darum die Anerkennung der Surftherapie in Deutschland voranzutreiben. Richtig?

Ja, genau. In anderen Ländern wird die Surftherapie schon erfolgreich eingesetzt, zum Beispiel zur Behandlung von psychiatrischen Diagnosen wie der Depression bei Erwachsenen, der Posttraumatischen Belastungsstörung und Angststörungen.

Es gibt in Deutschland noch keine Forschung gezielt zur Wirkung von Surftherapie bei Jugendlichen mit Depression, da die Methode hier noch nicht so etabliert ist. Und deswegen war die Idee, nicht nur die Therapie an sich den Jugendlichen anzubieten, sondern auch wissenschaftlich zu untersuchen und zu prüfen, ob Surftherapie wirklich mit deutschen Rahmenbedingungen durchführbar und effektiv ist. Wir wollen eine fundiertere Grundlage haben, um das Ganze weiter voranzubringen und vielleicht anderen Kliniken das Projekt vorzustellen. Damit es irgendwann dann auch ein tatsächlich anerkanntes Therapieverfahren werden kann.

“Das Ganze wird von Spenden finanziert“

Gibt es Möglichkeiten für unsere Interessierten und Unterstützer*innen mitzuwirken oder dieses Ziel zu unterstützen?

Also auf jeden Fall darüber sprechen – So ganz auf der einfachen Ebene mit Leuten und speziell aus der Fachrichtung Psychologie oder Medizin, dass einfach immer mehr Personen davon erfahren. Finanzielle Unterstützung empfangen wir natürlich immer gerne, weil das Ganze von Spenden finanziert wird. Dieses Jahr hat die Heidehof Stiftung glücklicherweise einen Großteil der Sachkosten übernommen. Wir schauen gerade noch, wie wir 2023 das Projekt finanziell gestemmt bekommen.